Unabhängig von Konjunkturen

Ein Gespräch mit Sprecherin Ramona Lenz über die Entwicklung der Stiftung, die Unabhängigkeit der medico-Arbeit und neue Netzwerke

 

Was hat dich dazu gebracht, innerhalb von medico vom Verein zur Stiftung zu wechseln?

Als ich bei medico anfing, war ich zunächst im Fundraising tätig. In diesem Bereich hat man oft mit Menschen zu tun, die möglichst schnell und konkret helfen wollen, ein Bedürfnis, das ich gut nachvollziehen kann. Medico leistet solche Hilfe natürlich auch zusammen mit Partnerorganisationen vor Ort. Um dauerhaft handlungsfähig zu sein, bedarf es aber einer stabilen Basis. Dazu gehören langjährige Kooperationen, gewachsene transnationale Netzwerke und nicht zuletzt ein finanzielles Fundament, das uns und unsere Partnerorganisationen unabhängig macht vom kurzlebigen medialen Interesse an Katastrophen und von wechselnden Spenden- und Fördermittelkonjunkturen. In meiner Tätigkeit als Referentin für Flucht und Migration ab 2015 waren diese Konjunkturen deutlich zu spüren: Auch wenn die Abgeschobenen in Sierra Leone und die subsaharischen Transitmigrantinnen in Marokko in einer ähnlich desolaten Situation sind wie afghanische und syrische Flüchtlinge in den Lagern auf den griechischen Inseln, war das mediale Interesse in Deutschland und damit auch das Spendenaufkommen für sie stets deutlich geringer. Dass wir jedoch auch Partner:innen fördern können, deren Kämpfe hierzulande wenig Beachtung finden, habe ich immer als besondere Stärke von medico gesehen. Hierbei ist die Stiftung von großer Bedeutung. Daher freue ich mich, nun als Sprecherin an der langfristigen Absicherung der medico-Arbeit mitzuwirken und damit insbesondere diejenigen zu unterstützen, die ansonsten wenig Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit erfahren.

Die Unabhängigkeit der Arbeit von medico abzusichern, ist das zentrale Ziel der Stiftung. Wie gut gelingt ihr das heute?

Das Stiftungsvermögen ist von einer Million Euro im Gründungsjahr auf inzwischen deutlich über 20 Millionen Euro angewachsen. Aus den Erträgen können von Jahr zu Jahr mehr medico-Projekte gefördert werden, gerade auch solche, für die es nicht so leicht ist, andere Mittel zu generieren. Gleichzeitig hat die Stiftung einen beträchtlichen Teil ihres Vermögens im medico-Haus im Frankfurter Ostend angelegt, in dem der Verein mit seinen rund 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mehrere Etagen nutzt – unabhängig vom entfesselten Immobilienmarkt in einer Metropole wie Frankfurt. Weitere Etagen sind an andere gemeinnützige Organisationen vermietet und mit den Mieteinnahmen können wir wiederum die Menschrechtsarbeit unserer Partnerorganisationen fördern.

Die niedrigen oder gar Negativ-Zinsen der letzten Jahre haben vielen Stiftungen erhebliche Probleme bereitet. Was läuft bei der medico-Stiftung anders?

Bei der Vermögensanlage ging es der medico-Stiftung nie nur um maximale Erträge, sondern auch darum, das Vermögen so anzulegen, dass es den Zielen von medico nicht zuwiderläuft. Im Rahmen einer konsequent nachhaltigen und sozialverträglichen Anlagestrategie hat die medico-Stiftung daher in den letzten Jahren einen großen Teil ihres Vermögens in Immobilien angelegt – nicht nur im medico-Haus, sondern beispielsweise auch in dem gemeinnützigen Kunst- und Wohnprojekt Barac Mannheim. Der Ertragsentwicklung hat diese Strategie keineswegs geschadet, im Gegenteil. Die Stiftung konnte auf diese Weise nicht profitorientierte Nutzungen der Immobilien ermöglichen und ist zugleich selbst weniger der volatilen Zinsentwicklung ausgeliefert. Diese Entwicklung bestätigt, wie sinnvoll die Gründung der Stiftung in verschiedener Hinsicht war. Dass sich vor 18 Jahren Menschen zusammengefunden haben – medico-Kolleg:innen, Mitglieder für Vorstand und Kuratorium und vor allem Zustifter:innen –, ist ein Glücksfall. Ihrem langen Atem und ihren vorausschauenden Entscheidungen ist es zu verdanken, dass die Stiftung heute so gut dasteht und neue Zustifter:innen davon überzeugt, das Stiftungsvermögen wachsen zu lassen.

Das medico-Haus hat auch der Stiftung selbst ein Zuhause gegeben – und mit den Räumlichkeiten im Erdgeschoss zudem ein Forum für eigene Veranstaltungen.

Neben der Förderung von Partner:innen im globalen Süden sieht sich die medico-Stiftung als gesellschaftspolitische Akteurin, die auch in Deutschland Debatten anstößt und Diskursräume öffnet. Auch das ist Satzungszweck. Früher geschah das vor allem auf eigenen Symposien an wechselnden Orten in Frankfurt. Inzwischen tut sie es im eigenen Haus und immer stärker in Zusammenarbeit mit anderen Akteur:innen in der Stadt. So richten wir seit 2019 die Reihe „Der utopische Raum im globalen Frankfurt“ gemeinsam mit dem Frankfurter Institut für Sozialforschung und der Frankfurter Rundschau aus. In Symposien und regelmäßigen Abendveranstaltungen diskutieren wir über Konzepte und gelebte Alternativen zu einem auf zerstörerisches Wachstum und Ressourcenausbeutung ausgelegten Globalisierungsprozess. Aus diesem Zusammenhang heraus entstand auch die Idee, anlässlich des 175. Jubiläums der Nationalversammlung in der Paulskirche in Frankfurt eine Global Assembly abzuhalten.

Worum geht es dabei?

Mit Maßnahmen, die im Nationalen verhaftet bleiben, wird es nicht gelingen, den Auswüchsen des entfesselten Weltmarktes, den Folgen des Klimawandels, den eskalierenden Gewaltverhältnissen und anderen Herausforderungen der globalisierten Welt zu begegnen. Im Rahmen der geplanten Global Assembly wollen wir daher mit Menschen aus der ganzen Welt Ideen entwickeln, wie wir als Weltgemeinschaft den vielfältigen Herausforderungen der Gegenwart begegnen können. Dabei sind wir Teil des zivilgesellschaftlichen Netzwerks Paulskirche, das anlässlich des Paulskirchenjubiläums Demokratie als gelebte politische Praxis in Frankfurt erfahrbar machen will. Durch die Vernetzung mit Partner:innen im globalen Süden einerseits und die Verankerung in der Frankfurter Zivilgesellschaft andererseits spielt die medico-Stiftung hier eine ganz besondere Rolle.

Der Blick in die Welt wird immer verstörender. Sei es in der Pandemie, sei es die immer spürbarer werdende Klimakatastrophe: Wo globale Solidarität dringend geboten wäre, dominiert das Gegenteil. Wie bringst du diese scheinbar gegenläufigen Tendenzen zusammen?

Angesichts eines sich verdichtenden Krisengeschehens weltweit verändert sich auch die Arbeit von medico. Immer schneller und immer häufiger gilt es, auf Katastrophen zu reagieren und gegen Unrecht Stellung zu beziehen. Dabei stoßen wir auch immer häufiger auf Widerstände und erleben Rückschläge. Dass uns jedoch zugleich immer mehr Menschen unterstützen, ist Ausdruck einer großen Solidarität, die es ja nach wie vor gibt. Diese Unterstützung macht Mut. Wir verstehen sie nicht nur als Wertschätzung unserer Arbeit, sondern auch als Auftrag, weiter mit Entschlossenheit und Beharrlichkeit für die Menschenrechte einzutreten. Die zunehmende Zahl an Zustiftungen verschafft uns dabei die Möglichkeit, nicht nur auf unmittelbare Not zu reagieren, sondern gleichzeitig auf grundlegende langfristige Veränderungen hinzuwirken.

 

Das Interview führte Christian Sälzer.